Prof. Hornemann und seine innovative Methode: Sehnen für Senkungsbeschwerden

25.03.2021
Matthias Kühn
Redakteur

Er zählt zu den herausragendenen Gynäkologen unserer Zeit: Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann, MPH, begeistert die Fachwelt mit einer faszinierenden Alternative zu den umstrittenen Kunststoffnetzen bei Operationen wegen Gebärmuttersenkungen. Einst galten diese Netze als innovativ in der Gynäkologie, doch sind sie heute noch nötig? Denn die Risiken teils enormer Komplikationen sind groß. Der Chefarzt der Klinik für operative Gynäkologie am Krankenhaus Sachsenhausen hat eine völlig neue Technik entwickelt, bei der eine Sehne aus der Kniekehle zum Einsatz kommt. Wie das geht? Das erklärt der renommierte Spezialist verständlich und anschaulich im Gespräch mit dem Leading Medicine Guide

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Kniekehle statt Kunststoff: Prof. Hornemann und seine einzigartige OP-Methode bei Gebärmuttersenkungen

Schon vor Jahren hat Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann die Aufmerksamkeit der Medizinwelt auf sich gezogen und für internationale Schlagzeilen gesorgt: Er zählte zu den ersten Fachärzten, die sich mit der damals weithin unbekannten 3D-Schlüsselloch-Chirurgie beschäftigten – und somit den gesamten Fachbereich der 3D-Chirurgie revolutionierte. Und als er die weltweit erste Eierstockoperation ohne sichtbare Narben durchführte, staunten selbst die erfahrensten Gynäkologen in den USA, in Japan oder Australien: Denn Prof. Hornemann legte seiner Patientin einen Zugang zu den Eierstöcken, der durch den Magen führte.

Spätestens seit dieser vielbeachteten Operation weiß man in Fachkreisen: Wenn Prof. Hornemann eine Innovation ankündigt, bedeutet das mit hoher Wahrscheinlichkeit grundlegende Neuerungen für die gesamte Frauenheilkunde. Kein Wunder also, dass Prof. Hornemann auch im Bereich Beckenboden zu den führenden internationalen Köpfen zählt.

Leading Medicine Guide: Herr Prof. Hornemann, bei der von Ihnen entwickelten Methode, eine Gebärmuttersenkung dauerhaft zu beheben, entnehmen Sie eine Sehne aus der Kniekehle zur Transplantation. Ganz einfach gefragt: Warum machen Sie das?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Aus gynäkologischer Sicht ist es ein klarer Vorteil, bei der Fixierung der Gebärmutter eine Sehne zu verwenden. Anfangs galt es als optimal, eine Gebärmuttersenkung mit einem Kunststoffnetz zu beheben. Das kann im Rahmen eines minimal-invasiven Eingriffs gemacht werden. Allerdings liegt es auf der Hand, dass ein solches Netz ein Fremdkörper bleibt. Auch wenn es selten ist: Es kommt vor, dass ein solches Kunststoffnetz zu Unverträglichkeiten führt. Dann besteht für die Patientin eine echte Gefahr – und das Netz muss in einer komplexen Operation wieder entfernt werden. Da stellt sich dann ein weiteres Problem, nämlich ob das Netz auch wirklich vollständig entfernt werden kann.

Leading Medicine Guide: Wenn Sie eine Sehne verwenden, gibt es dieses Problem natürlich nicht.

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Ganz genau. Mit körpereigenem Material wie der Sehne aus der Kniekehle ist man da auf der sicheren Seite. Sie müssen auch bedenken, dass ein solches Kunststoffnetz bei jüngeren Frauen eingesetzt wird und damit oft jahrzehntelang im Körper verbleibt. Auch weil die Lebenserwartung zunimmt, wird es dann zu steigenden Komplikationen kommen, und gerade bei alten Menschen ist die dann notwendige Entfernung eines Kunststoffnetzes ein zusätzliches Risiko.


Senkungsbeschwerden – was heißt das eigentlich?

Rund die Hälfte aller Frauen leiden im Laufe ihres Lebens an Senkungsbeschwerden des Beckenbodens, bei fortgeschrittenem Alter gehen manche Experten sogar von sechzig Prozent aus. Der Beckenboden hält die Organe im kleinen Becken in Position – also die Blase, die Gebärmutter und den Darm. Was aber, wenn er das nicht mehr tut? Das kann etwa nach einer Schwangerschaft passieren: Wenn es zu einer Senkung der Scheide und damit verbunden zu einer Senkung der Organe im kleinen Becken kommt, verlieren die Organe ihren Halt. Die Folge: Zunächst gibt es Druckgefühle und Ziehen im Beckenbereich, das bis zur Scheide hin führt. Dann folgt eine Blasenschwäche, auch Vorwölbungen von Blase und Darm zum Scheideneingang hin können auftauchen. Senkungsbeschwerden tauchen häufiger bei erblich bedingten Bindegewebsschwächen auf, nach Geburten, durch schweres Heben – und durch Übergewicht. Wichtig ist, dass man bereits beim ersten Verdacht einen Facharzt aufsucht!


Leading Medicine Guide: Und dennoch bleiben die Kunststoffnetze überwiegend im Einsatz? Bei den meisten Operationen sind sie nach wie vor üblich.

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: In der Tat werden in Deutschland jährlich mehr als 20.000 Operationen in der Deszensuschirurgie durchgeführt und nur ein Bruchteil davon von mir mit Sehne durchgeführt. Kunststoffnetze sind hier etabliert und werden ja auch in aller Regel erfolgreich angewandt.

Leading Medicine Guide: Und was ist mit dem Risiko?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Es ist schwierig, klare Aussagen über das Risiko zu treffen. Zum einen gibt es auf dem Kunststoffmarkt ständig neue Materialien, weshalb es wenige Langzeitdaten zu den einzelnen Netzen gibt. Allerdings gab es multiple Warnungen, weil nachgewiesenermaßen vaginale Kunststoffnetze zu teils schwerwiegenden Komplikationen führten. Dazu kommt, dass diese Kunststoffimplantate nicht nur für lokale Komplikationen, sondern auch vielfältig für andere, unspezifische Symptome verantwortlich gemacht werden. Das hat dazu geführt, dass auch der Einsatz der Kunststoffbänder in der Inkontinenzchirurgie kritisch hinterfragt wird. Und das wiederum hatte zur Folge, dass schließlich nach Alternativen gesucht wurde.

Leading Medicine Guide: Haben nicht einige Länder die Verwendung von Kunststoff bereits verboten?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Der Einsatz dieser Netze aus Kunststoffmaterial kann den Patientinnen langfristige Probleme bereiten und für sie zahlreiche Risiken bergen, weshalb diese Vorgehensweise in vielen Ländern schon jetzt nicht mehr praktiziert werden darf. Auf Dauer werden die Netze ganz sicher verschwinden.


Immer mehr Netzverbote: Im Frühjahr 2019 hatte in den USA die zuständige Zulassungsbehörde den Vertrieb von Kunststoffnetzen zur transvaginalen Behandlung von Organsenkungsbeschwerden untersagt, in Großbritannien beispielsweise gab es ein Verdikt, nach dem Fachärzte die Nutzung von Netzen stoppen sollten. Zahlreiche Hersteller von Kunststoffnetzen haben es inzwischen mit heftigen Klagen zu tun – es geht um Schadensersatz in Höhe von etlichen Milliarden. Tatsächlich haben weltweit mehr als 100.000 betroffene Frauen Klage eingereicht, hauptsächlich wegen chronischer Schmerzen, Problemen beim Wasserlassen, aber auch weil Kunststoffnetze zu Infektionen, Blutungen und Dislokationen geführt haben.


Leading Medicine Guide: Kein Wunder also, dass sich Ihr innovativer Ansatz schnell in Fachkreisen herumgesprochen hat. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Mein neuer Ansatz kombiniert lediglich zwei etablierte Verfahren: Die Sehnenentnahme aus der Kniekehle und die Sakropexie oder Pektopexie, die jeweils seit vielen Jahren etabliert sind. Die Pektopexie ist ein relativ neues Verfahren, um den Beckenboden zu fixieren, das vor allem für adipöse Patientinnen entwickelt wurde – oder für solche, die bereits Operationen hinter sich haben.

Hornemann5.jpgInzision der Kniekehle zur Entnahme einer Sehne

Leading Medicine Guide: Es gibt also mehrere Methoden, eine Senkung des Beckenbodens zu operieren?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Ja, bislang wurden sogar mehr als vierzig Operationsverfahren beschrieben. Standard ist bei Gebärmuttersenkungen die Fixierung an der Wirbelsäule bzw. an der Bandstruktur vor der Wirbelsäule. Aber zunächst wird immer versucht, bei der Korrektur des Prolapses eine Operation zu vermeiden. Da gibt es viele Möglichkeiten, etwa eine konservative Therapie mit Beckenbodengymnastik. Ist das nicht erfolgreich, kann man eine Therapie mit Pessar versuchen – mit Ring, Scheibe oder Würfel. Eingeführt in die Vagina werden damit die Strukturen nach oben hin gestützt. Weil dadurch aber meist nur eine temporäre Linderung erfolgt, ist oftmals eine Operation die einzige langfristig erfolgreiche Option.

Leading Medicine Guide: Und wie gehen Sie konkret vor?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Wenn alle relevanten Bereiche desinfiziert und steril abgedeckt sind, erfolgt zunächst eine Bauchspiegelung, also ein Eingriff durch das sogenannte Schlüsselloch, in der die Implantation der Sehne in den Bauchraum vorbereitet wird. Bei dieser Vorbereitung wird auch verifiziert, ob die Technik tatsächlich angewendet werden kann. Erst wenn ich weiß, dass es funktionieren wird, beginne ich mit der Entnahme der Sehne. Dazu wird in der gewählten Kniekehle ein horizontaler Hautschnitt über der meist tastbaren Sehne gesetzt, der um die zwanzig Millimeter groß ist. Die Entnahme der Sehne ist dann ganz einfach und dauert nur wenige Minuten. Der Hautverschluss erfolgt dann mit ein, zwei Einzelknopfnähten. Jetzt wird die Sehne über den Trokar ...

Leading Medicine Guide: Trokar?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: ... ja, als Trokar bezeichnet man ein „Rohr“, das über die Bauchdecke in den Bauchraum eingebracht wird. Darüber können dann Instrumente oder die Kamera in den Bauchraum einbracht werden. Über den Trokar wird dann auch die Sehne in das Abdomen – also den Bauchraum – eingebracht und an den zu fixierenden Strukturen befestigt.

Leading Medicine Guide: Wie viel Zeit nimmt eine solche Operation in Anspruch?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Die Sehnenentnahme dauert nicht mehr als zehn, Minuten, Transplantation und Fixierung beanspruchen ohne weitere Maßnahmen etwa vierzig Minuten. Da aber üblicherweise weitere Schritte notwendig sind, plane ich immer mit einer Gesamtzeit von ca. zwei Stunden.

Leading Medicine Guide: Wie reagierte Ihre erste Patientin auf die Idee, ihr eine Sehne aus der Kniekehle zu entnehmen?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Das war eine Operation, die unter Studienbedingungen von einer Ethikkommission genehmigt wurde. Die Patientin kam aus den Niederlanden und war sofort begeistert, weil sie bereits lange Jahre unter den Folgen ihrer Gebärmuttersenkung litt. Sie hatte starke Unterleibsschmerzen und große Probleme bei der Blasenentleerung. Die Patientin wurde von ihrem Ehemann begleitet und war gleich nach der Operation überglücklich. Damals gab es spontanen Applaus im Operationssaal. Nach zwei Jahren habe ich sie zu einer Kontrolluntersuchung wieder gesehen. Sie ist weiter äußerst zufrieden und würde die Entscheidung jederzeit wieder treffen. Inzwischen versucht sie, das Verfahren in Holland bekannt zu machen, damit auch dort möglichst viele Frauen davon profitieren.

Hornemann6.jpgVerschluss des Bauchfells nach erfolgter Transplantation und Fixierung

Natürlich werden Patientinnen immer darüber informiert, welche Operationsverfahren in Frage kommen. Übrigens entferne ich meistens nur die halbe Sehne, sodass kaum funktioneller Schaden durch den Verlust entsteht. Und die Sehne regeneriert sich auch innerhalb von zwei Jahren.

Leading Medicine Guide: Wie haben Sie diese Methode, von der heute die ganze Fachwelt spricht, denn überhaupt entwickelt?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Das entsprang genau genommen einem Zufall: Ich schaute einem Kollegen aus der Orthopädie bei dessen Operation über die Schulter. Orthopäden greifen schon lange gern auf eine Sehne am Oberschenkel zurück, wenn ein Kreuzband ersetzt werden soll. Da das ein einfacher, atraumatischer Eingriff ist, lag für mich die Übertragung auf mein Fachgebiet nahe. Dazu kommt, dass die Orthopädie bereits über viel Erfahrung verfügt: Neben der recht einfachen Entnahme überzeugt die hohe Reißfestigkeit des Sehnengewebes, außerdem ist die Morbidiät durch den Verlust der Sehne gering, es gibt also so gut wie nie Komplikationen oder Folgeerkrankungen. Kniechirurgen rechnen nach einer Transplantation ins Kniegelenk damit, dass die Sehne lebenslang hält. Außerdem konnten Untersuchungen zeigen, dass sich das entfernte Sehnengewebe regeneriert. Wie gesagt: Nach durchschnittlich zwei Jahren kann das Gewebe wieder am Explantationsort nachgewiesen werden.

Leading Medicine Guide: Also eine durch und durch erfolgreiche Methode?

Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann: Das kann man so sagen. Bislang waren alle Patientinnen sehr zufrieden und gaben an, dass sie es anderen betroffenen Frauen uneingeschränkt empfehlen. Die Genesung geht schnell vonstatten, die Entlassung ist meistens am zweiten oder dritten Tag nach der Operation möglich. Wir haben die Machbarkeit und die Sicherheit längst bewiesen. Daher erwarte ich, dass dieses Verfahren in der Deszensuschirurgie der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Professor Dr. Hornemann, wir bedanken uns sehr für dieses äußerst interessante Gespräch!

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