Brustkrebsbehandlung geht neue Wege: Prof. Volz stellt die Intraoperative Elektronen Radiotherapie vor

01.08.2021
Claudia Dechamps
Redakteurin

Es ist ein besonders schonendes Verfahren bei Brustkrebs, das in Deutschland erst in wenigen Frauenkliniken zum Einsatz kommt: Die Intraoperative Elektronen Radiotherapie (IOERT) bietet neue Chancen bei der Brustkrebsbehandlung. Professor Dr. med. Joachim Volz setzt als Spezialist für Brustkrebs am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt IOERT bereits seit vielen Jahren ein. Der Chefarzt der Frauenheilkunde und des Brustzentrums gilt somit als ausgewiesener Experte dieser nach wie vor neuen Methode. Prof. Volz, der zudem als Gründer und Leiter des Kinderwunschzentrums FROG (Frauengesundheit, Reproduktionsmedizin, Operative Gynäkologie) in Bielefeld auf sich aufmerksam gemacht hat, sprach mit dem Leading Medicine Guide über IOERT – und über seinen Blick auf das Thema Brustkrebs.

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Leading Medicine Guide: Herr Prof. Volz, Sie haben einen recht bewegten Lebenslauf – drei Jahre Entwicklungsdienst in Namibia gehören dazu. Wie hat diese Zeit Sie geprägt?

Prof. Dr. Volz: Aus diesen Jahren habe ich sehr viel mitgenommen. Ich war damals eingesetzt in einem kleinen Krankenhaus im Kriegsgebiet, natürlich in erster Linie in der Geburtshilfe. Dort habe ich gelernt, mit begrenzten Mitteln zu arbeiten und dennoch medizinisch das Bestmögliche zu leisten. Die Bedingungen haben mich darin trainiert, medizinische Entscheidungen aufgrund meiner Wahrnehmungen an der Patientin zu treffen. Das ist mir bis heute außerordentlich wichtig und das versuche ich auch an meine jungen Ärzte weiterzugeben. Die sollen sich zutrauen, sich auf sich selbst zu verlassen, auf ihre Erfahrung und ihr Gefühl für das Wesentliche. Das ist für jeden Arzt essenziell, finde ich, aber ich weiß auch, dass man sich das trauen muss. Man muss die eigene Wahrnehmung wichtig nehmen, mindestens so wichtig wie die Ergebnisse der Apparate.

Leading Medicine Guide: Während Ihrer Zeit als Oberarzt an der Universitäts-Frauenklinik Mannheim haben Sie dann die Intraoperative Strahlentherapie kennengelernt und die Methode an der Klinik etabliert. Gab es für die Hinwendung zu diesem neuen Verfahren in der Brustkrebsbehandlung auch ein Schlüsselerlebnis?

Prof. Dr. Volz: Das kann man so sagen und auch dieses liegt in Namibia. Meine Vorgängerin dort, eine Nonne, die seinerzeit als erste Ordensfrau Chirurgin werden durfte, war an Brustkrebs erkrankt. Sie wurde dann operiert und anschließend bestrahlt. Gut, die Bestrahlungen von damals sind natürlich nicht mit denen von heute zu vergleichen. Aber ich habe miterlebt, wie die Behandlung sie wirklich zerstört hat. Daher habe ich damals als einer der Ersten mit der Wächterlymphknoten-Entfernung begonnen, als Alternative zur kompletten Entfernung der Achsellymphknoten und eben jetzt mit der Teilbestrahlung als Ersatz für die Ganzbrustbestrahlung.

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Leading Medicine Guide: Und genau das ist die Intraoperative Elektronen Radiotherapie (IOERT). Erklären Sie uns diese Technik etwas genauer?

Prof. Dr. Volz: Die IOERT ist ein neues Verfahren in der Behandlung von Brustkrebs, das in Deutschland bisher nur in wenigen Kliniken zum Einsatz kommt. In Italien beispielsweise gehört es schon lange zum Standard in der Brustkrebstherapie. Die IOERT wird direkt bei einer Krebsoperation angewendet. Sobald der Tumor entfernt ist, wird das Tumorbett mit einem hochmodernen, mobilen Linearbeschleuniger, der mit Elektronen arbeitet, bestrahlt. Das geschieht mit einer hohen Dosis, dauert aber nur ein paar Sekunden. Der unschätzbare Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass wir mit hoher Präzision nur das Tumorbett treffen und das umliegende Gewebe und die Gefäße schonen. Die Strahlendosis wird genau auf das Zielgebiet gerichtet, Nebenwirkungen können so minimiert werden. Nach der Bestrahlung wird die Wunde wie üblich verschlossen.

Leading Medicine Guide: Bisher galt die Bestrahlung der gesamten Brust nach einer brusterhaltenden OP als Standard. Was hat sich geändert?

Prof. Dr. Volz: Man weiß heute, dass über neunzig Prozent der Rückfälle – also der Rezidive – dort auftreten, wo der Tumor gesessen hat, und nur selten an einer anderen Stelle in der Brust. Deshalb galt bisher die Bestrahlung der gesamten verbliebenen Brust als Standard. Aber ganz ehrlich, gerade bei einer großen Brust wird doch das ganze Gewebe rundherum, ach, der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen und geschädigt. Da wird ein riesiger Hammer ausgepackt, um ein kleines Feld zu bearbeiten. Ich kann das als Arzt nur schwer akzeptieren. Natürlich gibt es Fälle, wo das notwendig ist, da würde auch ich so therapieren. Aber mindestens die Hälfte der Patientinnen braucht diese umfangreiche Form der Behandlung nicht.

Leading Medicine Guide: Was hat sich geändert, dass nun auch die Teilbrustbestrahlung eine Option in der Brustkrebsbehandlung darstellt?

Prof. Dr. Volz: In der neuen Leitlinie der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft heißt es jetzt: „Eine alleinige Teilbrustbestrahlung (als Alternative zur Nachbestrahlung der ganzen Brust) kann bei Patientinnen mit niedrigem Rezidiv-Risiko durchgeführt werden“. Im Prinzip kommt eine IOERT für alle Frauen in Frage, bei denen brusterhaltend operiert werden konnte. Die Vorteile der IOERT liegen auf der Hand: Nur das kranke Gewebe wird zielgerichtet erreicht, die Haut wird geschont, es gibt keine kosmetischen Spätfolgen, das Lungenfell bleibt unbelastet, den Patientinnen bleibt eine lange Behandlungszeit erspart. Bei Patientinnen, die ein Karzinom von maximal zwei Zentimetern haben und günstige Zusatzbedingungen, reicht eine einzige operative Bestrahlung. Ist der Tumor allerdings größer oder liegen noch andere Faktoren vor, können sich an die IOERT noch einmal zusätzliche Bestrahlungen von außen anschließen.

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Leading Medicine Guide: Gibt es Studien zur Wirksamkeit der IOERT und zu den Rückfallquoten?

Prof. Dr. Volz: Alle Studien sagen, dass die IOERT eine gute Behandlungsmethode darstellt mit geringer Rezidivrate. Die gezielte Einmalbestrahlung während der OP erreicht bei Brustkrebs im Frühstadium die gleiche Wirksamkeit wie eine herkömmliche sechswöchige Strahlentherapie. International fühlen wir ein großes Team hinter uns. In Italien, das als führend in der Brustkrebsbehandlung gilt, arbeiten über 85 Kliniken mit dieser Methode. Im Vergleich dazu sind es hierzulande bisher nur etwa acht Häuser. Wir mit der Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus in Lippstadt machen, wie gerade noch ein anderes Haus in Deutschland, eine Anwendungsstudie, um die Wirksamkeit der IOERT zu untermauern. Zu den Rückfallquoten kann man sagen, dass wir, gerade auch bei jüngeren Patientinnen, deutlich weniger Lokalrezidive haben.

Leading Medicine Guide: Wichtige Voraussetzung für einen guten Verlauf ist aber auch ein frühes Stadium, in dem der Tumor entdeckt wird, oder?

Prof. Dr. Volz: Ja, aber man muss bedenken, dass sich in den letzten zwanzig Jahren enorm viel getan hat in Sachen Tumorbiologie und Diagnostik. Wir entdecken heute schon sehr kleine Tumore und sehen auch viel mehr kleine Zweittumore als früher. Deshalb kann man schon sagen, dass für eine IOERT viele Patientinnen in Frage kommen. Und der Vorteil ist doch, dass die Frauen nur eine kurze Zeit mit dem Krebs beschäftigt sind und nicht Wochen und Monate damit leiden. Wie gesagt, im Ausland ist man hier wesentlich weiter als bei uns. Man kann bei Brustkrebs sehr viel schonender behandeln, man muss nicht so radikal arbeiten. Aber man muss auch sehr viel mehr wissen um die ganzen Prozesse, um dann weniger zu tun. Wir haben schon einige Fortbildungen für Ärzte veranstaltet und wünschen uns, dass diese schonende und gute Behandlungsmethode auch hier im Land bekannter wird und mehr Verbreitung findet.

Leading Medicine Guide: Herzlichen Dank für das spannende und aufschlussreiche Gespräch, Herr Prof. Dr. Volz!

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