Dr. Krappel: Regeneration der Wirbelsäule mit PRP

11.06.2021
Claudia Dechamps
Redakteurin

Dr. med. Ferdinand Krappel ist Spezialist für Wirbelsäulenchirurgie im Spitalzentrum Oberwallis in Brig – und machte das Walliser Wirbelsäulenzentrum weit über den Kanton hinaus bekannt. Das Spitalzentrum Oberwallis selbst ist ein wesentlicher Teil des Spitals Wallis. Der erfahrene Orthopäde Dr. Krappel sorgte mit seinem Team durch exzellente Hochleistungsmedizin dafür, dass das Walliser Wirbelsäulenzentrum Anfang 2021 für vier weitere Jahre zertifiziert wurde – von der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft und der Euro Spine, der Europäischen Wirbelsäulengesellschaft.

Als Facharzt und wissenschaftlich arbeitender Mediziner ist Dr. Krappel seit Jahrzehnten fasziniert von der Wirbelsäule. Es gibt noch so viel Neues zu entdecken und zu erforschen auf diesem Fachgebiet, findet er. Im Interview mit dem Leading Medicine Guide spricht Dr. Krappel über moderne Behandlungsmöglichkeiten der Wirbelsäule und erklärt das regenerative Verfahren PRP.

Krappelshot.jpgLeading Medicine Guide: Herr Dr. Krappel, seit drei Jahrzehnten beschäftigen Sie sich medizinisch mit der Wirbelsäule. Ist das nicht eintönig?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Nein, das ist es ganz und gar nicht. Der Rücken ist ja nicht einfach so ein Gelenk wie die Hüfte oder die Schulter. Er besteht aus vielen Einzelgelenken, großen und kleinen, Bandscheiben, Muskeln und Bändern. Der Aufbau der Wirbelsäule ist einzigartig – stabil und belastbar und gleichzeitig beweglich und elastisch. Wir Mediziner und Wissenschaftler entdecken an der Wirbelsäule immer noch etwas Neues: Wie funktioniert diese Kette von Gelenken, wie greift eins ins andere oder blockiert eins das andere? Der Rücken ist – aus meiner Sicht natürlich – das wichtigste Körperelement.

Leading Medicine Guide: Die meisten Menschen assoziieren beim Stichwort Rücken den Schmerz. Rückenprobleme sind die zweithäufigste Diagnose für Krankschreibungen.

Dr. med. Ferdinand Krappel: Genau, Rückenschmerzen sind schlimm und jeder, der welche hat, braucht sofort einen Termin beim Arzt – nicht erst in einer Woche. Darauf lege ich in meiner Klinik höchsten Wert. Abgesehen davon sind wir auch wissenschaftlich immer noch dabei, über den Schmerz zu lernen, den Schmerz zu verstehen. Schmerzen haben viele Dimensionen, körperliche, psychische, chronische. Da nehme ich mir bei jedem Patienten erst einmal sehr viel Zeit und analysiere mit ihm seinen Schmerz: Wie hat er angefangen, wo tritt er auf, wann erscheint er, mit welcher Intensität ist er zu spüren?

Leading Medicine Guide: Und was ist mit Schmerz, der eher psychische Ursachen hat?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Wir erleben alles immer als ganzer Mensch, Körper und Psyche hängen zusammen, das lässt sich gar nicht trennen. Und nicht immer können wir Mediziner den Schmerz völlig beseitigen. Aber wir können dem Patienten helfen, mit dem Schmerz umgehen zu lernen. Es ist wichtig, im Arztgespräch die Ziele zu definieren: Was möchte mein Patient erreichen? Was ist medizinisch machbar? Wie können wir ein schmerzreduziertes Leben ermöglichen? Zu Beginn meiner Arbeit in der Schweiz bin ich zum Leiter der Psychiatrischen Klinik gegangen und habe ihm gesagt, dass wir jetzt viel miteinander zu tun haben werden. Schmerz ist ein komplexes Phänomen. Deshalb habe ich auch begonnen, Psychologie nebenher zu studieren.

Leading Medicine Guide: Also ist eine Operation nicht die erste Wahl bei Rückenschmerzen?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Auf keinen Fall. Als erstes reden wir unseren Patienten die Operation aus. Nach der Schmerzanalyse kommt sozusagen die „technische Untersuchung“. Man muss sich das so vorstellen: Die Wirbelsäule hat eine Mechanik, das sind Wirbel und Bänder, Muskeln und Bandscheiben. Und dann gibt es die Elektronik, das sind Nerven und Gefäße, die alles versorgen. Wir schauen also, wo der Schmerz herkommen könnte und versuchen, ihn mit gezielten Schmerzspritzen auszuschalten. Mithilfe der Rückmeldungen tastet man sich dann so langsam vorwärts. Genau hinschauen – das ist meine Devise.

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Leading Medicine Guide: Kommen zu Ihnen hauptsächlich ältere Menschen mit Verschleißerscheinungen am Rücken?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Nein, im Gegenteil. Wir sehen immer mehr jüngere Menschen mit degenerativen Erscheinungen. Und das sind nicht nur Menschen mit einem vorwiegend sitzenden Lebensstil, sondern auch viele Sportler.

Leading Medicine Guide: Wir denken doch alle, Sport ist gesund?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Natürlich, Bewegung muss sein, Fitness ist sinnvoll. Aber in Maßen. Eine junge Wirbelsäule, die sich noch im Wachstum befindet, sollte mit Umsicht trainiert werden. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie einen Rasen einsäen und dann direkt darüberlaufen, geht alles wieder kaputt. Wir beobachten leider immer mehr bei jungen Leuten Schäden an den Bandscheiben. Gerade bei denen, die zwischen zwanzig und dreißig sind. Da spielt sicher das Fitnessstudio eine Rolle. Das Training mit Gewichten sollte nur nach einem guten Trainingsplan und unter fachlicher Aufsicht stattfinden. Aber auch genetische Vorbedingungen, Lebensstil und Ernährung wirken sich auf die Bandscheiben aus. Als Fazit kann ich sagen, dass sehr viel Sport nicht unbedingt gut für den Körper ist. Und jetzt kommt etwas, das die Bewegungsmuffel sicher freut: Jeden Tag eine Stunde Spazierengehen – damit macht man garantiert nichts falsch und tut einiges für die Gesundheit.

Leading Medicine Guide: Was machen Sie mit den jungen Patienten, die mit Bandscheibenproblemen in Ihre Sprechstunde kommen?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Zunächst einmal haben wir umgedacht. Früher haben wir einem jungen Menschen mit Bandscheibenschaden ein dynamisches System zur Stabilisierung der Wirbelsäule eingesetzt. Aber mit so einem Eingriff verändern wir gleichzeitig das Gesamtsystem, das ist der Nachteil. Nun haben wir bei der Behandlung jüngerer Menschen neue Methoden entdeckt: die regenerativen Verfahren. Bei der regenerativen, also der wiederherstellenden Medizin geht es darum, krankes, verletztes oder geschädigtes Gewebe zur Neubildung anzuregen. Wir motivieren den Körper sozusagen, sich selbst zu heilen. Gerade in der Orthopädie bietet sich ein weites Feld für den Einsatz regenerativer Methoden. Hier wird jetzt sehr viel geforscht und untersucht, es gibt experimentelle und klinische Studien, aber manches ist noch weit von der breiten medizinischen Anwendung entfernt.

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Leading Medicine Guide: Was ist denn bei der Behandlung von Bandscheibenschäden schon möglich?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Bei bestimmten Bandscheibenschäden können wir das „Platelet Rich Plasma“-Verfahren, kurz PRP genannt, anwenden. Das ist eine noch recht junge Therapie, die sich aber zunehmend in der Orthopädie etabliert. Bei PRP wird dem Patienten Blut entnommen, das dann in einer speziellen Form aufbereitet wird. Der Patient wird also gewissermaßen mit einem Produkt aus seinem eigenen Blut behandelt. Das ist möglich, weil bei allen Reparaturprozessen des Körpers die Blutplättchen, die Thrombozyten, eine wichtige Rolle spielen. Sie besitzen Wachstumsfaktoren, stimulieren die Zellen und sorgen für eine bessere Durchblutung. Das macht man sich in der Therapie zunutze. Mit bestimmten Zentrifugierungsverfahren wird aus dem Eigenblut das plättchenreiche Plasma gewonnen, das dann speziell aufbereitet in die lädierten Bandscheiben gespritzt wird.

Leading Medicine Guide: Was Patienten natürlich in erster Linie interessiert: Hat das Verfahren Nebenwirkungen – und wie wirkt PRP?

Dr. med. Ferdinand Krappel: Weil wir in der Therapie ein körpereigenes Produkt einsetzen, treten keine Nebenwirkungen auf. PRP beendet Entzündungsprozesse und setzt Reparaturvorgänge in Gang. Bisher hat da jede Klinik ihre eigenen speziellen Aufbereitungsverfahren entwickelt, aber die Bestrebungen gehen dahin, ein einheitliches Produktionsverfahren für PRP zu entwickeln. Wie das angereicherte Plasma genau wirkt und wo es ansetzt, hat man wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt. Aber es hilft der Bandscheibe, sich selbst zu regenerieren. Ich habe eine Studie gemacht, bei der alle Patienten auch drei Jahre nach der Behandlung beschwerde- und rückfallfrei waren. Oft reicht eine Injektion, manche Patienten brauchen bis zu drei Sitzungen. Die Ergebnisse hängen ein wenig vom Zustand des eigenen Blutes ab. Die Behandlung kann ambulant erfolgen, eine Sitzung dauert vielleicht fünfzehn Minuten. PRP wirkt deutlich besser als Cortison, man muss mit seiner Krankenkasse im Einzelfall abklären, ob sie die Behandlung übernimmt.

lmg_brig2.jpgSpitalzentrum Oberwallis, Brig (Quelle), Fotos von Dr. Krappel: Bildrechte bei Richard Kuonen 

Herr Dr. Krappel, wir bedanken uns sehr für dieses äußerst interessante Gespräch!
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