Hyperemesis gravidarum: Spezialisten & Informationen

03.08.2023
Prof. Dr. med. Richard Berger
Medizinischer Fachautor

Ein gewisser Grad von Unwohlsein in der frühesten Schwangerschaft ist völlig normal und kein Grund zur Sorge. Nur in seltenen Fällen nehmen Übelkeit und Erbrechen überhand und sollten frühestmöglich behandelt werden. Das ist der Fall bei der Hyperemesis gavidarum, der übermäßigen Schwangerschaftsübelkeit.

Wann genau eine Hyperemesis gravidarum vorliegen könnte, was das bedeutet und was zu tun ist, erfahren Sie hier. Außerdem finden Sie hier ausgewählte Hyperemesis gravidarum-Spezialisten.

ICD-Codes für diese Krankheit: O21

Empfohlene Hyperemesis gravidarum-Spezialisten

Artikelübersicht

Was genau ist eine Hyperemesis gravidarum?

Übersetzt bedeutet der Begriff „übermäßiges Erbrechen in der Schwangerschaft“. Die Vorsilbe „hyper“ grenzt ab vom klassischen und harmlosen Schwangerschaftsübergeben, der „Emesis gravidarum. Diese Art Unwohlsein tritt bei weit mehr als der Hälfte aller schwangeren Frauen auf und ist also recht normal.

Zwischen 0,2 und 2 Prozent der Schwangeren ab der 4. bis 9. Schwangerschaftswoche haben dagegen deutlich stärkere Beschwerden.

Ohne Gegenmaßnahmen können starke Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt auftreten. Dadurch sind ernste Mangelzustände (Mineralstoffe, Zucker, Vitamine, Fette) möglich.

Der Diagnose Hyperemesis gravidarum ist der internationale ICD-Code O21 zugeordnet, je nach Schwere

  • O21.0 mit Krankheitsgefühl, aber ohne Entgleisung, oder
  • O21.1 mit Stoffwechselstörung.

Welche Symptome weisen auf extremes Schwangerschaftserbrechen hin?

„Normale Schwangerschaftsübelkeit“ mit Erbrechen beginnt oft schon in der 2. bis 4. Woche. Bei 80 Prozent der Betroffenen klingt sie zwischen der 12. und 16. Woche wieder ab und verschwindet ohne Nachwirkungen.

Betroffene übergeben sich vorwiegend morgens und erholen sich davon gut. Manchmal kommen Sodbrennen und eventuell eine geringe Gewichtsabnahme hinzu.

Bei der Hyperemesis gravidarum leiden Schwangere unter stärkeren und längeren Symptomen. Zu den typischen Symptomen und Anzeichen von Hyperemesis zählen:

  • andauernde Übelkeit,
  • über fünf mal Erbrechen innerhalb von 24 Stunden,
  • Nüchternerbrechen,
  • starke Gewichtsabnahme (über 5 % des Körpergewichts),
  • Kreislaufschwäche (Schwindel, schneller Puls),
  • äußere Zeichen für Wassermangel: gerötete trockene Schleimhäute, trockene Zunge, stehenbleibende Hautfalten, eingefallene Augen, Durst und reduzierter Harn,
  • Ketose: Ketonkörper im Harn, fruchtartiger Atemgeruch,
  • erhöhte Temperatur.

Schwangerschaftsübelkeit
Bei einer Hyperemensis gravidarum müssen sich Schwangere deutlich häufiger übergeben als normal © nenetus | AdobeStock

Bei länger andauernder und schwerer Verlaufsform können zusätzlich weitere Symptome hinzukommen, wie zum Beispiel

Hyperemesis gravidarum: Welche Ursachen und Risiken sind bekannt?

Weshalb manche schwangere Frauen eine übermäßige Schwangerschaftsübelkeit entwickeln, ist noch nicht vollständig geklärt. Die möglichen Ursachen können bestehende Vorerkrankungen, ungünstige Begleitumstände der Schwangerschaft oder Schwankungen des Hormonsystems sein. 

Folgende Punkte sind mögliche Ursachen für eine starke Schwangerschaftsübelkeit:

  • Stress und Anspannung,
  • besondere Geruchsempfindlichkeit,
  • psychosomatische Störungen,
  • erhöhte Hormonspiegel: hCG (humanes Choriongonadotropin), Östrogen, Prostaglandin, Schilddrüsenhormone (T4, TSH),
  • Vitamin-B-Mangel,
  • Trägheit von Speiseröhre und Magen,
  • unzureichender unterer Speiseröhrenverschluss,
  • Infektion mit dem Magengeschwür-Erreger Helicobacter pylori,
  • genetische Disposition.

Eine Schwangerschaft fordert körperliche Höchstleistungen von der schwangeren Frau. Risikofaktoren, wie

können die Entwicklung einer Hyperemesis begünstigen.

Gab es bei einer vorhergehenden Schwangerschaft bereits eine Hyperemesis gravidarum, kann sie erneut auftreten.

Mit dem Vorwissen, Vorsichtsmaßnahmen und einer engmaschigen Betreuung der Schwangerschaft kann sie auch völlig “normal” verlaufen.

Wann ist ein Arztbesuch notwendig und wie erfolgt die Diagnose?

Ausgeprägte Mangelzustände (Wasser, Salze, Vitamine, Nährstoffe) durch Dauererbrechen sind in der Schwangerschaft besonders ungünstig. Damit für Mutter und Kind kein zu hohes Risiko entsteht, ist eine frühzeitige Behandlung umso wichtiger.

Ziehen Sie umgehend Ihren Arzt zurate, wenn

  • Ihnen innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen pausenlos übel ist,
  • Sie deshalb kaum noch essen,
  • häufig am Tag erbrechen und
  • sich zunehmend schwach fühlen.

Mehr als fünf mal Erbrechen am Tag ist nur eine „klinische Daumenregel“. Viel wichtiger ist Ihr persönliches Empfinden zu Ihrem Zustand und dass Sie merklich an Gewicht und Kraft verlieren, sich krank fühlen

Fachärzte aus den Bereichen Gynäkologie, Geburtshilfe und Perinatalmedizin sind die richtigen Ansprechpartner für betroffene Frauen. Diese führen die Untersuchungen durch und ordnen die passende Behandlung an.

Die Diagnose stellt der Arzt im Ausschlussverfahren. Dazu dienen in erster Linie

  • die klinischen Symptome,
  • die körperliche Untersuchung und
  • labordiagnostische Untersuchungen des Blutes.

Die Blutuntersuchung ergibt ein Blutbild, mit dem

  • die Entzündungsmarker CRP,
  • Elektrolyt-,
  • Leber-,
  • Nieren- und
  • Schilddrüsenwerte

erfasst und kontrolliert werden. Eine Urinprobe gibt Aufschluss zu möglichen Ketonkörpern im Urin: Stoffe, die beim Abbau von Fettsäuren im Körper entstehen. Zum Urinstatus gehören außerdem die Dichte und der Säuregehalt des Urins.

Eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) zeigt, wie sich das oder die ungeborenen Babys entwickelt. Damit kann der Arzt auch die Entwicklung der Schwangerschaft überprüfen.

Dauert der Zustand mit ständigem Erbrechen und starker Übelkeit schon länger an, sucht der Arzt nach weiteren möglichen Ursachen. Die Hyperemesis gravidarum kann gleichzeitig mit verschiedenen Erkrankungen auftreten:

Was sind die Behandlungsoptionen und wer führt sie durch?

Die Behandlung richtet sich nach der Schwere der Symptome und dem Mangelstatus. Dazu setzt der Arzt an mehreren bis vielen Stellschrauben an. Primär gilt es, Übelkeit und Erbrechen zu stoppen und die Speicher wieder aufzufüllen.

Der Frauenarzt wird Ihnen gezielt weiterhelfen und Ihnen Tipps geben, was Sie selbst tun können – auch zur Vorbeugung.

Essgewohnheiten optimieren bei Hyperemesis gravidarum

Die leichte Variante lindern Sie schon mit etwas geänderten Essgewohnheiten selbst. Meiden Sie Trigger wie Fettes, Scharfes, Saures, Süßes und starke Gerüche.

Essen Sie über den Tag verteilt sechs bis acht kleine Portionen. Hungern Sie nicht. Bereiten Sie sich Leckeres aus viel Protein und Kohlenhydraten zu. Trinken Sie zwischen den Mahlzeiten reichlich, aber in kleinen Schlucken, möglichst kalt, klar und nicht allzu süß: Limonade, Isotonisches, Pfefferminztee.

Achten Sie auf Ruhe und meiden Sie Hitze oder hohe Luftfeuchte.

Komplementärmedizin und alternative Therapie-Ergänzungen

Gegen die normale Schwangerschaftsübelkeit und leichten Formen der Hyperemesis gravidarum wirken 1 bis 4 g Ingwerwurzel täglich sehr gut.

Manchen hilft auch Akupressur am Handgelenk (Pericardium 6), Akupunktur oder Psychotherapie.

Medikamentöse Therapie bei Hyperemesis gravidarum

Darüber hinaus übernimmt ein Gynäkologe die medikamentöse Therapie.

  • Antihistaminika,
  • Anticholinergika und
  • Antiemetika

beruhigen und lindern Brechreiz, einige verordnet der Arzt mit Vitamin B6 kombiniert.

Serotonin-Rezeptorantagonisten wie Metoclopramid (MCP) oder Ondansetron zusammen mit B-Vitaminen haben dagegen gewisse Risiken. Deswegen kommen sie erst bei schwerer Symptomatik in Betracht.

Ein Medikament mit dem Wirkstoff Meclozin setzt direkt am Brechzentrum an und soll die Übelkeit eindämmen. Die Vermarktung wurde in Deutschland eingestellt, es ist aber über Auslandsapotheken unter dem Produknamen Agyrax weiterhin erhältlich.

H2-Rezeptorblocker wie Ranitidin helfen gegen

  • Sodbrennen,
  • Reflux (saures Aufstoßen) oder
  • Helicobacter-Infektion.

Nutzen und Risiken der Medikamente bei Hyperemesis gravidarum wägt der Arzt sorgfältig ab, um Mutter und Kind nicht zusätzlich zu belasten.

Klinische Aufnahme und Behandlung

Nach starken Gewichtsverlusten ist parallel zur Medikation eine stationäre klinische Behandlung notwendig. Während des Aufenthalts erhält die Schwangere mehrere Tage lang Infusionen, um die Mangelzustände auszugleichen. Eventuell sind auch

  • künstliche Ernährung,
  • kurzzeitig Glukokortikoide (Methylprednisolon) oder
  • ein Antidepressivum (Mirtazapin)

notwendig. 

Behandlungsziel ist, die Schwangerschaft so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Das Kind soll sich so weit wie möglich weiter entwickeln, eine Frühgeburt soll nach Möglichkeit vermieden werden.

Eine Geburt, spontan oder eingeleitet, ab der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) bzw. mindestens 260 Tage gilt nicht mehr als Frühgeburt. Gleichzeitig ist es sehr wichtig, auf das Wohlergehen und die Gesundheit der werdenden Mutter zu achten. 

Wie sind die Erfolgsaussichten und ist Hyperemesis gravidarum vermeidbar?

Bei frühzeitiger Behandlung sind die mehrgleisigen Maßnahmen gut wirksam. Patientinnen erholen sich schnell und die Schwangerschaft verläuft normal weiter. Sie können mit den oben genannten einfachen Mitteln – leichtes Essen und Trinken in kleinen Häppchen – vorbeugen. Bei Neigung zu Übelkeit greifen Sie auf Ingwer und Vitamin B6 zurück. Weiteren Rat weiß der Gynäkologe.

Wie gefährlich ist Hyperemesis gravidarum und was sind die Folgen für Mutter und Kind?

Die starke Übelkeit führt bei der Schwangeren zu

  • starken Mangelzuständen,
  • körperlicher Schwäche und
  • starken psychischen Belastungen.

Je nach Schwere besteht bei manchen ein erhöhtes Risiko für

  • Speiseröhrenschäden,
  • Präeklampsie (Bluthochdruck während oder nach der Schwangerschaft) und
  • eine verzögerte Entwicklung des Kindes mit früherer Geburt.

Sehr selten enwickeln sich bei der Mutter Vitamin-B-Mangelschäden des Gehirns (Wernicke-Enzephalopathie) oder der Nerven.

Für das ungeborene Kind besteht ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko. Außerdem kann es durch die Mangelzustände der Mutter etwas kleiner sein und ein niedrigeres Geburtsgewicht von unter 2500 Gramm haben. 

Quellen

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