Agoraphobie: Informationen & Agoraphobie-Spezialisten

23.11.2022

Die Agoraphobie ist eine Form der Angststörung. Sie ist durch die Furcht vor großen Plätzen, Menschenmengen und weiten Reisen alleine gekennzeichnet. Die Agoraphobie mit und ohne Panikstörung ist eine häufige psychische Erkrankung. Erhebungen zur Erkrankungshäufigkeit zeigen, dass etwa 1 bis 3 Prozent der deutschen Population in einem Zeitraum von einem Jahr an Agoraphobie leiden. Frauen sind etwa 2- bis 3-mal häufiger von Agoraphobie betroffen als Männer. Behandelt wird die Agoraphobie mit Medikamenten und Psychotherapie, insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie.

Hier finden Sie weiterführende Informationen sowie ausgewählte Agoraphobie-Spezialisten und Zentren.

ICD-Codes für diese Krankheit: F40.0

Artikelübersicht

Was versteht man unter Agoraphobie?

Agoraphobie ist eine Angststörung. Der Wortursprung (griech. ἀγορά agorá = Marktplatz, φόβος phóbos = Furcht) bezeichnet die Angst vor großen Plätzen bei diesem Störungsbild.

Darüber hinaus kann auch die Angst vor Menschenmengen und dem Reisen alleine in weiter Entfernung von zu Hause hinzukommen.

Ursachen der Agoraphobie

Die Forschung geht davon aus, dass biologische Faktoren und Lernprozesse eine wichtige Rolle in der Entstehung der Agoraphobie spielen.

In Bezug auf Lernprozesse ist die Theorie des Vermeidungslernens des amerikanischen Psychologen Mowrer von besonderer Bedeutung. Dabei eignen sich Betroffene Angstreaktionen auf bestimmte Reize an.

Beispielsweise streitet sich eine Frau mit ihrem Mann im Menschengedränge in einem Supermarkt. Sie bekommt in der Situation Angst, weil er androht, sich zu trennen. Fortan sind alle Reize, die mit dem Thema „voller Supermarkt“ zusammenhängen, angstbesetzt.

Im nächsten Schritt möchte die Frau keine Supermärkte betreten, um ihre Angst zu vermeiden. Die Minderung der Angst wirkt innerlich wie eine Belohnung für das Vermeiden des Supermarkts. Dadurch nimmt dieses Verhalten an Häufigkeit zu.

Dieses Beispiel verdeutlicht die Bedeutsamkeit von Lernprozessen für das Erlernen, aber auch das Verlernen der Agoraphobie.

Agoraphobie bezeichnet die Angst vor Plätzen und Menschenmengen
Bei einer Agoraphobie entwickeln Menschen Angst vor bestimmten Plätzen und Menschenmengen © Jeff Bergen/peopleimages.com | AdobeStock

Diagnose und Symptome der Agoraphobie

Betroffene geben als Grund für ihre Ängste oft an, dass sie fürchten, aus einer entsprechenden Situation nicht fliehen zu können. Das können etwa große Menschenmengen sein. Sie können auch Angst davor haben, ohnmächtig zu werden und keine Hilfe zu bekommen.

Betroffene haben also die Sorge, eine bestimmte Situation nicht mehr kontrollieren zu können. Sie fürchten, sich dann hilflos ausgeliefert zu fühlen.

Agoraphobie mit Panikstörung

Die Agoraphobie ist in der weit überwiegenden Zahl der Fälle mit einer Panikstörung verbunden. In den genannten Situationen kommt es dann zu einem Gefühl heftigster Angst.

Agoraphobie-Patienten befürchten in dieser Situation, akut zu sterben, z.B. an einem Herzinfarkt. Sie gehen also von einer lebensbedrohlichen körperlichen Erkrankung aus. Daher verständigt der Patient oder ein Angehöriger oft den Notarzt. Diese Patienten werden häufig in kardiologischen Abteilungen untersucht. um beispielsweise einen akuten Herzinfarkt auszuschließen.

Wiederholen sich die Panikstörungen, kann es zu einer langen Krankengeschichte akuter Krankenhausaufenthalte mit den entsprechenden Untersuchungen kommen.

Betroffene erleben die extremen Angstzustände als sehr bedrohlich. Dadurch entwickeln sie eine Angst vor dem Auftreten dieser Angstzustände, also eine Angst vor der Angst (Phobophobie). Sie tun alles, um nicht mehr in die Gefahr zu kommen, eine Angstattacke zu erleiden. Aus diesem Grund vermeiden sie die angstauslösenden Situationen.

Dies kann dazu führen, dass die Patienten das Haus nicht mehr verlassen.

Behandlung der Agoraphobie

Die wesentlichen Elemente der Behandlung der Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung sind

  • die Psychotherapie und
  • die medikamentöse Behandlung.

Es muss jeweils im Einzelfall entschieden werden, in welcher Form die beiden Behandlungselemente eingesetzt werden.

In vielen Fällen entscheidet man sich in der Praxis für eine Kombination beider Behandlungsverfahren.

Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung der Agoraphobie

Die Psychotherapie wird in der Regel mit kognitiver Verhaltenstherapie vorgenommen. Eine wichtige Technik ist dabei die Vermittlung eines logisch nachvollziehbaren Modells der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Störung. Der Betroffene erkennt dabei, dass er seine körperlichen Symptome häufig in katastrophisierender Form deutet. Dabei treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz andere Erklärungen zu.

Beim Treppensteigen treten typischerweise ein schneller Herzschlag und Kurzatmigkeit auf. Ein Agoraphobie-Patient kann das als Vorbote eines Herzinfarkts interpretieren. Auch dann, wenn wiederholte Untersuchungen vorher gezeigt haben, dass er herzgesund ist. Aus diesem Grund fühlt der Patient sich durch genannte Symptome bedroht. Ein Teufelskreis der Angst nimmt seinen Lauf.

Eine logische und sinnvolle Erklärung in dieser Situation wäre die folgende: Die körperlichen Symptome hängen damit zusammen, dass der Körper bei erhöhter Kraftanstrengung einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff hat. Dieser muss über den Blutkreislauf transportiert werden. Herzklopfen und Kurzatmigkeit sind also ganz normal.

Diese Erklärung kann sich der ängstliche Patient aber zunächst selbst nicht geben. Die kognitive Verhaltenstherapie legt dem Patienten diese rationalen Erklärungen nahe.

Expositionsbehandlung der Agoraphobie

Zunächst lernt ein Agoraphobie-Patient diese irrationalen Gedanken zu erkennen. Danach setzt der Patient diesen Gedanken andere Gedanken entgegen.

Hierbei handelt es sich um die wiederholte Konfrontation mit angstauslösenden Situationen und Reizen. Ziel ist es, sich an diese Situationen zu gewöhnen. Dadurch lässt im Laufe der Zeit die heftige körperliche Angstreaktion nach und verschwindet schließlich. Letztlich muss der Patient lernen, dass Angst nie durch Vermeidung einer angstauslösenden Situation verschwindet. Sie lässt sich nur durch die wiederholte erfolgreiche Bewältigung im Rahmen einer Konfrontation bekämpfen.

Diese Veränderung lässt sich an einem Beispiel veranschaulichen. Die meisten Menschen wären ängstlich, wenn sie nach einem Autounfall am nächsten Tag den gleichen Weg mit dem Auto fahren. Man befürchtet, es könnte erneut ein Unfall passieren. Wird man diesen Weg die nächsten Wochen immer wieder fahren, ohne dass etwas passiert, wird die Anspannung bald nachlassen.

Nach geraumer Zeit wird im Vergleich zu anderen Strecken keine erhöhte Anspannung vorhanden sein, weil ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist.

Die Angst würde bleiben, wenn der Patient sich im Anschluss an den Unfall nicht mehr ins Auto gesetzt hätte.

Medikamentöse Behandlung der Agoraphobie

Als Medikamente (Psychopharmaka) der ersten Wahl gelten bei Agoraphobie antidepressive Medikamente aus der Gruppe der sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (abgekürzt SSRI für engl. Selective Serotonin Reuptake Inhibitor). Sie sind relativ gut verträglich und verursachen keine Abhängigkeit.

Dazu gehören z.B. die Wirkstoffe

  • Citalopram,
  • Sertralin und
  • Paroxetin.

Aber auch Antidepressiva anderer Wirkstoffgruppen kommen bei Agoraphobie in Frage. Diese haben jedoch bei ähnlicher Wirksamkeit häufig mehr Nebenwirkungen.

Vorsicht ist geboten bei dem Einsatz von direkt angstlösenden Medikamenten aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine (z.B. Lorazepam, Diazepam). Kurzfristig haben sie eine hervorragende Wirksamkeit, weil sie schon kurz nach der Einnahme eine deutliche Minderung der Angst bewirken. Längerfristig führen sie aber zu einer Abhängigkeit, die nur schwer behandelbar ist.

Heilungsaussichten bei Agoraphobie

Die Prognose der Agoraphobie ist von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Ohne Behandlung kann die Agoraphobie schnell chronisch werden, was zu einer erheblichen Einschränkung im Alltag führen kann. Die Prognose ist günstig, wenn die Erkrankung noch nicht sehr lange besteht. Der Patient muss dazu bereit sein, sich seinen Ängsten zu stellen.

Ungünstig wirkt sich aus, wenn die Agoraphobie von weiteren Erkrankungen begleitet wird. Besonders schwerwiegend sind z.B. Depressionen oder eine Suchterkrankung. Auch mehrere vorangegangene vergebliche Behandlungen gehen mit ungünstigeren Heilungsaussichten einher. Ein chronischer Verlauf der Agoraphobie ist auch mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.

Prognostisch eher ungünstig ist es auch, wenn der Patient aufgrund seiner sozialen Situation wenig Möglichkeiten hat, sich mit seinen Ängsten auseinander zu setzen. Ein Beispiel wäre etwa ein Partnerschaftskonflikt, den der Patient nicht offen austrägt, weil er sich in finanzieller Abhängigkeit vom Partner erlebt.

Auch ein Rentenbegehren des Patienten trägt zu einer ungünstigen Heilungsaussicht bei. In diesem Fall wird der Betroffene keine Anstrengungen unternehmen, sich mit seinen Ängsten zu konfrontieren. Das würde zu einer Verminderung der Chancen auf eine Berentung beitragen.

Fallbeispiel zur Agoraphobie

Eine 29-jährige Frau berichtet darüber, dass sie nach einem heftigen Streit mit ihrem langjährigen Freund erstmals eine Panikattacke mit

bekommen habe. Der vom Freund herbeigerufene Notarzt schickt die junge Patientin ins Krankenhaus. Hier wird eine umfassende medizinische Abklärung mit EKG und Herzkatheter vorgenommen. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine Herzerkrankung oder eine andere körperliche Erkrankung.

Nach Entlassung aus dem Krankenhaus erlebt die Patientin wiederholt Panikattacken in Kaufhäusern und bei einer Reise zu einer Freundin. Nach vier Wochen wiederholter Panikattacken sieht sich die Patientin außer Stande, das Haus alleine zu verlassen. Sie erledigt Besorgungen nur noch in Begleitung ihres Freundes. Ihre Stelle als Sachbearbeiterin in einer Versicherung kann sie nicht weiter ausführen und wird krankgeschrieben.

Nach einem ausführlichen Gespräch mit ihrem Hausarzt stellt sich die Patientin bei einer psychologischen Psychotherapeutin vor. Mit ihr beginnt sie eine ambulante Verhaltenstherapie. In der Therapie lernt sie, sich mit ihren Ängsten zu konfrontieren. Sie erkennt den Zusammenhang ihrer Agoraphobie mit Trennungs- und Verlustängsten.

Nach 25-Stunden ambulanter Verhaltenstherapie kann sie sich den vorher vermiedenen Situationen wieder stellen. Im weiteren Therapieverlauf wird die Partnerschaftsproblematik intensiv bearbeitet.

Letztlich trennt sich die Patientin von ihrem Freund. Ihr wird klar, dass sie keine gemeinsamen Ziele und Zukunftsperspektiven mit ihrem Freund hat. Insbesondere ihr Wunsch nach Familie und Kindern bleibt unerfüllt.

Ein Jahr nach dem Erstauftreten der Symptomatik ist die Patientin beschwerdefrei. Sie stellt sich allen angstauslösenden Situationen. Sie berichtet darüber, dass sie weniger Angst vor Konflikten habe als vor der Therapie.

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