Die Blasenekstrophie gehört zum sogenannten
Blasenekstrophie-Epispadie-Ekstrophie-Komplex (BEEK), einer umfassenden Multiorgananomalie (unübliche Entwicklung der Organe in mehreren Fällen). So ist es wahrscheinlich, dass eine Blasenekstrophie mit
Missbildungen der Beckenknochen oder der Bauchmuskulatur einhergeht. Ihre Inzidenz (Häufigkeit) scheint von regionalen Faktoren begünstigt zu werden, da das Krankheitsbild in manchen Teilen der Welt gehäuft vorkommt. Das Risiko eines neugeborenen Kindes, an einer Blasenekstrophie zu leiden, liegt weltweit bei etwa
1 zu 30.000. Damit ist die Blasenekstrophie eine seltene Missbildung. Jungen sind etwa
doppelt so häufig betroffen wie Mädchen.
Es wurde bislang noch keine unumstrittene Erklärung für das Aufkommen der Fehlbildung gefunden. In ihrer klassischen Variante ist die Blasenekstrophie ein
isoliertes Phänomen, das schon bei der Geburt besteht. In Verbindung mit anderen Fehlbildungen ist eine
genetische Ursache wahrscheinlich. Wenn beide Elternteile von einer Blasenekstrophie betroffen sind, steigt das Risiko einer Missbildung beim Kind von 1 zu 30.000 auf
1 zu 70. Im Rahmen der Pathogenese (Krankheitsentstehung) liegt zunächst eine Fehlentwicklung der unteren Bauchwand vor. Die fehlerhafte Anordnung erfolgt nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen während der Embryonalentwicklung. Aufgrund einer Ruptur (Riss) in der Bauchwand befindet sich die Harnblase nicht innerhalb des Körpers, sondern ist offengelegt. In der Regel sind deshalb von außen die Harnleiteröffnungen zu erkennen.
Die Missbildung hat ein
breites Symptomspektrum. Abgesehen von den zentralen Auffälligkeiten (Sichtbarkeit der Harnblase, Ruptur im Unterbauch, Plattenform der Blase) gibt es viele weitere Krankheitszeichen, die jedoch nicht zwangsläufig immer zusammen auftreten müssen. Der Blasenekstrophie-Epispadie-Ekstrophie-Komplex zeigt sich in einem relativ einheitlichen Krankheitsbild. Blase, Harnröhre und Becken sind durch den fehlenden Verschluss der unteren Bauchwand sichtbar. Die Harnleiter sind
nicht richtig verbunden und
durchlässig. Außerdem kommt eine
Fehlpositionierung des Nabels vor. In den meisten Fällen tritt auch eine
Zweiteilung der Harnröhre am Penisrücken bei Jungen auf (
Epispadie). Mädchen leiden hingegen unter einer
gespaltenen Klitoris, wobei die Harnröhre auch hier geteilt verläuft.
Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, an
Harnwegsinfektionen zu erkranken. Aufgrund der exponierten Lage des Blasenkomplexes sind die Harnorgane Krankheitserregern ungeschützt ausgesetzt. Ein Verschluss der Bauchwand ist daher unerlässlich. Des Weiteren leiden Patienten mit Blasenekstrophie üblicherweise an
Inkontinenz (Blasenschwäche). Die fehlerhafte Verkettung der Organe und Verbindungswege verhindert eine Kontrolle über die Ausscheidungsfunktion. Der Urinfluss erfolgt unmittelbar, wenn die Blase gefüllt wird. Zudem bestehen häufig schon bei der Geburt
Nierenschäden. Im weiteren Verlauf sind dauerhafte Nierenprobleme nicht auszuschließen. Darüber hinaus beeinträchtigt die Missbildung auch die
Sexualität. Eine Blasenekstrophie begünstigt nicht nur
Erektionsstörungen und
sexuelle Dysfunktionen, sondern führt fast immer auch zu einer großen psychischen Belastung der betroffenen Patienten.
Die Blasenekstrophie kann mittels einer
Ultraschalluntersuchung bereits während der Schwangerschaft diagnostiziert werden. Sind die Ergebnisse auffällig, wird den Eltern die
Entbindung in einer Spezialklinik empfohlen. Hier können sich nach der Geburt sofort
Urologen und Chirurgen um die Behandlung der Fehlbildung kümmern. Spätestens nach der Geburt sind die Anzeichen eindeutig, sodass der Befund üblicherweise unmittelbar
per Blickdiagnose festgestellt wird.
Das Vorliegen einer Blasenekstrophie ist ein urologischer Notfall und muss innerhalb von 72 Stunden chirurgisch behandelt werden. Normalerweise sind je nach Schweregrad der Missbildung mehrere Operationen nötig, bis die Fehlbildung behoben ist. Um den Organismus vor Keimen zu schützen, wird ein Blasenverschluss durchgeführt und außerdem die Bauchwand geschlossen. Eine zweite Operation folgt in der Regel zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Hierbei wird die Harnkontinenz hergestellt. Außerdem erfolgt eine Rekonstruktion der missgebildeten Genitalien. Im Rahmen der Operationen sollen folgende Ziele erreicht werden:
- Verschluss der offenen Stellen an Harnblase und Becken
- Bereitstellen eines möglichst normalen äußeren Genitales bei Mädchen
- Bereitstellen eines funktionstüchtigen Glieds bei Jungen
- Herstellung der Harnkontinenz und Stützen der Nierenfunktion
Die Operationen bewirken zumeist eine
signifikante Verbesserung des Problemkomplexes. Doch um Patienten ein weitgehend beschwerdefreies Leben zu ermöglichen, sind in der Regel weitere Operationen notwendig, beispielsweise wenn die Kontinenz im Nachhinein wieder verschwindet. In manchen Fällen muss auch ein Eingriff zur
Augmentation (Vergrößerung) der Blase vorgenommen werden.
Wenn der Problemkomplex schnell erkannt und fachgerecht behandelt wird, kann die Lebensqualität der Betroffenen für die Zukunft verbessert und gesichert werden. Durch eine Herstellung der Kontinenz, den Verschluss der Bauchwand und die Anpassung der Genitalien sollen sowohl physiologische als auch psychologische negative Folgeerscheinungen vermindert werden. Nichtsdestotrotz besteht das Risiko einer Verminderung der Stützfunktionen durch die frühkindlichen Operationen, sodass Betroffene möglichst im Kontakt mit Spezialisten bleiben sollten.